Mittwoch, 29. August 2012

Chile - Im Reich der letzten Chinchillas


Nach einer etwas unruhigen Nacht in Santiago (in der ich von einem netten Chilenen zum Abendessen eingeladen worden war, der mich dann aber leider nicht mehr in Ruhe liess, so dass ich mich auf meinem Hotelzimmer verbarrikadieren und taub stellen musste) nahm ich am fruehen Morgen - um besagtem Chilenen zu entgehen - den Bus nach Illapel.

Dort hatte ich mich fuer Mittags mit Amy verabredet. Ich hatte mir zuvor schon ausgemalt, wie sie sein mochte und meine Vorstellung kam dem Original ziemlich nahe. Nur ein bestimmter Schlag Mensch zieht allein in eine Bergwueste, um dort unter harten Bedingungen eine bedrohte Tierart zu retten - und ganz nebenbei, wie ich erst jetzt erfuhr, auch noch seine drei Kinder alleine grosszuziehen sowie einen Teilzeitjob als Englischlehrerin auszuueben, um sich ueber Wasser zu halten.
Amy war mittelgross, trug alte Jeans und ein Kapuzenshirt, das etwas zu gross fuer sie war, hatte einen rastlosen Character und war sehr herzlich. Man bekam das Gefuehl sie wolle am liebsten alle Informationen auf einmal loswerden, denn sie sprang in einer Geschwindigkeit von Thema zu Thema, die mir Anfangs etwas zu schaffen machte, bis ich mich an ihren Akzent und die Art gewoehnt hatte. Dann aber fand ich sie einfach nur fantastisch. Ich hatte noch nie einen Menschen mit einer solchen Energie getroffen. Die braucht man wohl auch fuer dieses Projekt, denn wie ich spaeter noch erfahren sollte, kaempfte sie nicht nur um das Ueberleben der Chinchillas, sondern auch gegen die Dummheit der Menschen.
Zunaechst jedoch zeigte sie mir schnell den Supermarkt und half mir, meine Lebensmittel fuer die kommende Woche zusammenzustellen. Ich wuerde jedes Wochenende die Chance haben, in die Stadt zu trampen und sie aufzufrischen, daher musste ich mich zum Glueck nicht fuer die kompletten drei Wochen eindecken. Danach wurde ich mit meinen Fressalien in ein Taxi gesetzt und Amy verschwand mit einem kurzen Gruss wieder Richtung Schule. Gluecklicherweise arbeiteten zur Zeit noch drei andere Voluntaere in der kleinen Station in den Bergen, zu der auch ich nun gebracht wurde, denn Amy wuerde erst am Freitag zu uns stossen, weil sie mit ihren Kindern unter der Woche in der Stadt wohnte.

Die Landschaft war huegelich, staubig und sehr karg. Es reihte sich Kaktus an Kaktus und dazwischen standen duerre Buesche mit nur wenigen Blaettern. Wie konnte hier ueberhaupt etwas wachsen und leben? Mir wurde versichert, dass ausser den Chinchillas auch Pumas und Degus (eine Art Maus mit Pinselschwanz) hier beheimatet waren. Condore gaebe es ebenfalls und ich hoffte sehr, dass mir das Glueck hold sein und ich endlich einen zu Gesicht bekommen wuerde. Das erstreckte sich allerdings nicht auf die Pumas - zumindest nicht wenn ich alleine irgendwo herumstiefeln sollte. Vor Skorpionen, giftigen Spinnen und einem Kaefer namens "Vinchuca" musste man ebenfalls auf der Hut sein. Darwin wurde angeblich von letzterem gebissen und litt danach lebenslang unter dessen Auswirkungen. Nicht der Biss an sich ist gefaehrlich, sondern die Ausscheidungen, die der kleine Kerl auf der Haut hinterlaesst und die man durch achtloses Kratzen in die Wunde bringt. Die Krankheit "Chagas" bricht allerdings erst ein paar Jahre spaeter aus.



Das Reservat an sich bestand aus einer kleinen Holzhuette mit Stockbett und Gasherd, dem Spielhaus der Kinder, das aber zur Zeit von einem Helferpaerchen als Schlafstatt benutzt wurde und einem Erdloch ueber das eine Klobrille gelegt worden und welches auf einfache Weise von vier windschiefen Wellblechen umgeben war. Ein Dach hatte es nicht. Das ermoeglichte eine schoene Aussicht auf die Berge, waehrend man sein Geschaeft verrichtete und bei Nacht spannte sich der atemberaubender Suedamerikanische Sternenhimmel ueber den Hockenden. Nur in Galapagos war es mir einmal vergoennt, die Milchstrasse so klar zu sehen. Es fiel schwer, die Augen wieder abzuwenden, selbst wenn die kalten Temperaturen den Koerper in die Huette an den kleinen Gasofen zuruecktrieben.
Strom gab es hier natuerlich keinen.Wir hatten aber ein paar kleine Solarlampen, die wir ueber den Tag hinweg aufluden und einen Kerzenleuchter fuer warmes, kraeftigeres Licht.
Unsere Wasserzufuhr war durch einen duennen schwarzen Plastikschlauch gesichert, der von einem wenig vertrauensvoll aussehenden Schlammloch bis zu uns fuehrte. Im besagten Loch gediehen Algen praechtig, es tummelten sich kleine rote Wuermchen und natuerlich loeschten dort auch andere Tiere ihren Durst. Daher mussten wir das Wasser vorher filtern und anschliessend gut abkochen, bevor wir es fuer Zwecke gebrauchten, die mit der Nahrungsaufnahme zu tun hatten.
Kurz nachdem ich angekommen war, wies James in Richtung Spueltisch, zu dem der Schlauch momentan fuehrte (je nach Bedarf wurde er immer umgelegt) und sagte, ich solle mir ein Pferd und eine alte Socke nehmen, wenn ich Wasser holen wollte.
...
Ein Pferd? Musste ich zum Wasserloch reiten, um den Topf zu fuellen? Es kam doch dort direkt aus dem Schlauch! Und ueberhaupt gab es hier gar keinen Stall, geschweige denn einen Mustang. Und was sollte der Quatsch mit der alten Socke? Doch was Letzteres betraf, konnte kein Zweifel bestehen, denn James hielt sie mir bereits unter die Nase - eine vergilbte nasse alte Wollsocke mit Rippmuster.
Ich sah ihn kritisch an und wiederholte, nur um sicher zu gehen: "A horse?"
"Yes", meinte er daraufhin und deutete auf den Schlauch. "Take just this hose here."
Endlich fiel der Groschen. "Hose" (ausgesprochen: house) war offensichtlich die Englische Bezeichnung fuer "Schlauch". Ein Wort, das bis eben einfach noch nicht in meinem Wortschatz existiert hatte. Aber was ich mit der ollen Socke sollte, kapierte ich immer noch nicht.
Gluecklicherweise kam mir in diesem Moment Yvonna, seine Freundin zur Hilfe, die das nasse Ding kurzerhand um die Oeffnung des Schlauches wickelte und mir demonstrierte, wie ich das Wasser durch das Gewebe rinnen lassen sollte, um es zu filtern. Ich begann diesen Ort aufrichtig zu lieben, allein fuer seine kreative Art mit Alltagssituationen umzugehen!

Ausser den Voluntaeren lebten hier noch die drei zahmen Chinchillas Baby Jerry, Spinner und Spas, die Amy gehoerten, sowie Welpe Rolli, die uns alle auf Trab hielt, weil sie noch immer sehr verspielt war und schlecht auf Kommandos reagierte, wenn sie aufgedreht war. Dennoch liebten wir sie alle innig, auch wenn Rolli stehts im Weg lag oder stand, nicht glauben konnte, dass wir lieber arbeiteten, statt mit ihr zu spielen und der festen Ueberzeugung war, dass sowieso all das, was wir da veranstalteten nur zu ihrer Unterhaltung passierte.




Das Projekt "salve las Chinchillas" gibt es schon seit ueber 17 Jahren. Seitdem ist zumindest Amy mit von der Partie und ich glaube, erst als sie die Sache in Angriff nahm, passierte auch tatsaechlich etwas. Immerhin gibt es nun gut zehn verschiedene Regionen, die offiziell als Nationalpark unter Schutz stehen und in denen die letzten wildlebenden Langschwanz-Chinchillas hausen. Leider war sie vor zwei Jahren dazu gezwungen in die USA zurueckzukehren und uebergab derweil das Projekt an jemand anderen. Dieser Jemand wurde mit 2.000 Dollar dafuer bezahlt, dass er auf der Station leben und die Pflanzen bewachen konnte, die dort mit viel Muehe gezogen worden waren. Jedoch fand er es in der Stadt wohl angenehmer, benutzte das Reservat nur als Party-Location fuer Alkohol-Exzesse, verwuestete die ganze Anlage mit Bergen von Muell, liess zu, dass ein Ziegenfarmer sein Haus und Gehege mitten auf den kleinen Weg zur Anlage baute, die Zaeune zur Baumschule einriss, um seine Tiere dort alles abweiden zu lassen, einen Grossteil des Wassers fuer seine eigenen Zwecke abzweigte und schlussendlich gegen Schmiergeld noch immer regelmaessig Jaeger und Holzfaeller in das Schutzgebiet laesst. Ueber soviel Dummheit, bzw. so wenig Verstand konnte man doch nur den Kopf schuetteln.
Als Amy dann vor fuenf Monaten aus den Staaten zurueckkehrte, konnte sie gerade noch einmal ganz von vorne anfangen! Es muss ein Schock gewesen sein, als sie ihr liebevoll hochgezogenes Reservat in einem Zustand antraf, der fern von Gut und Boese lag. Dennoch fand sie wohl irgendwie die Kraft fuer einen Neustart - den Chinchillas zuliebe.


Nach ein paar Tagen reisten die anderen drei freiwilligen Helfer ab und ich war fuer die restliche Zeit alleine in der kleinen Holzhuette. Nur der Ziegenfarmer, mit dem wir aber logischerweise nicht auf gutem Huf standen, wohnte ein paar Kilometer entfernt - ansonsten niemand! Und Illapel lag gute 45 Autominuten entfernt.
Das war ein merkwuerdiges Gefuehl. So ganz ohne Kontaktmoeglichkeit zur Aussenwelt. An manchen Tagen war ich gluecklich ueber meine Freiheit, an anderen Tagen haette ich alles fuer ein wenig menschliche Gesellschaft gegeben. Besonders Nachts mit all den fremden Geraeuschen.
Hinzu kommt noch, dass man alleine laengst nicht so viel erledigt bekommt, wie zusammen mit anderen. Alles dauert viel laenger und man muss sich staendig selbst ermahnen und motivieren. Dennoch schaffte ich einiges: Ich verlegte meterweise Schlaeuche, um die einzelnen frisch geflanzten Setzlinge zu bewaessern, flickte Zaeune, reparierte Werkzeug, baute Stufen fuer die kleine Huette um bequemer ins Innere zu gelangen, sammelte Muell ein und begann zu guter Letzt, durch Zusammenharken von Steinen und Kieseln, einen riesigen Chinchilla auf dem Boden der Baumschule zu erstellen - natuerlich nur die Aussenlinien. Von der Idee her ganz aehnlich den Geoglyphen von Nazca (Atacama), nur im Negativ. Mit Amys Hilfe am Wochenende konnten wir dieses grosse Projekt auch tatsaechlich so gut wie beenden, bevor meine Zeit in Illapel zuende war. Es soll spaeter als Labyrinth dienen, um Besuchern die einzelnen Pflanzen auf spielerische Weise naeher zu bringen. Und da das Gelaende ein wenig abfiel, konnte man den Riesenchinchilla sogar ein wenig von der Strasse aus erkennen!
In meiner letzten Woche bereitete mir unser Wasserschlauch zudem grosse Sorgen. Am Sonntag, bevor Amy und die Kinder zurueck in die Stadt trampten, war der sonst recht kraeftige Strahl zu einem kleinen Rinnsal geschrumpft, das nur traurig heraustroepfelte. Also bat ich Amy mir zu zeigen, wo das Wasserloch lag und wie man das Problem beheben konnte. Wir stiefelten also alle durch die Huegel, duckten uns unter Gestraeuch hindurch, passierten meterhohe Kakteen, und schlitterten Abhaenge hinunter, bis wir endlich zur gesuchten Stelle kamen. Dort wurde mir gezeigt, wie ich mit einem Stock die Algen aus dem Wasser fischen sollte, die den Wasserfluss blockierten und die Filter-Plastikflasche zu reinigen hatte. Angeblich sollte es nach etwa einem Tag wieder funktionieren. Ich verabschiedete also die kleine Familie und wartete guter Hoffnung auf den naechsten Morgen.
Er kam und ging aber das Wasser blieb aus. Zeitweise kam nicht einmal mehr das kleine Rinnsal, was mich etwas verzweifelt in den Schlauch pusten und an selbigen saugen liess, um dem Druck etwas nachzuhelfen. Ich dachte lieber gar nicht erst an all das Zeug, das sich im Hohlraum befinden koennte. Ich war auf die verdammte Fluessigkeit schliesslich angewiesen. Und nicht nur ich. Der Hund, die Chinchillas und die Pflanzen ebenfalls. Wenn ich kochen wollte, musste ich mittlerweile mindestens eine Stunde vorher eine Schuessel unter den Schlauch stellen um die wenigen Tropfen zu sammeln. Und bis Donnerstag aenderte sich an meiner Situation wenig.
Obwohl Regenzeit war und zudem derzeit Winter auf diesem Teil der Erde, waren die letzten Tage wolkenlos, warm und sonnig gewesen. Ich schaetzte die Temperaturen auf 26 - 30 Grad, konnte herrlich frei im T-Shirt arbeiten und genoss die Hitze sehr. Doch fuer die zarten Saetzlinge war dieses Wetter gar nicht gut. Sie begannen sich braun zu verfaerben und ihre wenigen Blaettchen zu verlieren...
Aber dann rettete mich die Jahreszeit doch noch: Am Donnerstag Nachmittag fing es endlich an, wie aus Kuebeln zu schuetten. Das Unwetter hielt die ganze Nacht an und wusch meine Sorgen um die Pflanzen ebenfalls davon. Und am Freitagmittag funktionierte sogar unsere Wasserversorgung wieder!

Leider waren die drei Wochen viel zu schnell vorbei - gerade, als ich mich an all die Umstaende gewoehnt und zu Amy und ihren drei kleinen Maedchen eine enge Beziehung aufgebaut hatte. Ich wurde fast wie eine grosse Schwester behandelt, ganz als ob ich zur Familie gehoerte. Das tat so gut...

Und an meinem allerletzten Tag im Reservat ging sogar noch mein grosser Wunsch in Erfuellung. Ich sah meinen Condor!  Und nicht nur einen - insgesamt kreisten vier der riesigen Voegel so hoch ueber uns, dass sie schon wieder winzig erschienen. (Amy war zum Glueck auch da um meine Zweifel zu zerstreuen, es koenne sich um gewoehnliche Raubvoegel handeln. Sie ist Vogelexpertin, deshalb glaubte ich ihr natuerlich gerne und genoss den Anblick doppelt.)


Waehrend ich dies schreibe sitze ich bereits wieder in einer Herberge in Santiago (weil ich mich im Datum geirrt und einen Tag zu frueh abgereist bin) und werde morgen in meinen Flieger gen Neuseeland steigen, wo ich nach einer langen Anreise ueber Argentinien und Australien am 2. September endlich ankommen werde.

Hasta luego :)
Kira

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